Wird uns der Computer unsere Jobs rauben? Geht es nach einer Studie der Oxford University von 2013 können sich viele Arbeitnehmer darauf gefasst machen, ihren Beruf innerhalb der nächsten beiden Jahrzehnte an den Nagel zu hängen. Oder besser gesagt: in andere Hände abzugeben. Nämlich in die metallisch-kalten von Kollege Computer. Doch ist diese Zukunftsangst realistisch? Eine Spurensuche.
Zukunftsangst: 59 Prozent aller Berufe sind durch Roboter-Einsatz gefährdet
Zunächst zu den harten Fakten: Die Volkswirte der ING-Diba haben die Studienergebnisse aus Qxford vom amerikanischen auf den deutschen Markt übertragen. Demzufolge bedroht die Digitalisierung langfristig mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in Deutschland. „Während die Originalstudie davon ausgeht, dass in den USA 47 Prozent aller Stellen gefährdet sind, schießt der Wert in der Untersuchung für Deutschland auf 59 Prozent“, heißt es in der WELT.
Eine stolze Summe. Aber heißt das wirklich, dass sechs von zehn Arbeitsplätzen ersatzlos gestrichen werden? Oder: Wird der Roboter nicht vielmehr dafür sorgen, dass der Mensch zunehmend die Hände für andere Aufgaben frei hat? Schließlich war das schon immer das Prinzip der Industrialisierung. Und die Digitalisierung ist schließlich nichts anderes als eine Fortsetzung der industriellen Revolution, das zweite Maschinenzeitalter.
Ähnliche Überlegungen stellt auch Tobias Kaiser, Wirtschaftsredakteur der WELT, an: „Das Risiko, von Kollege Computer ersetzt zu werden, variiert (…) je nach Spezialisierung, Karrierestufe und Beruf erheblich: Sachbearbeiter und andere Berufsgruppen, die hauptsächlich typische Verwaltungstätigkeiten erledigen, haben (…) riskantere Berufe, als sie selbst vermuten würden. Hier ist die Wahrscheinlichkeit, dass die beruflichen Tätigkeiten von Algorithmen übernommen werden, sehr hoch.“
Zukunftsangst: Fällt Arbeit wirklich weg?
Mit anderen Worten: Je höher die Qualifikation, desto höher die Überlebenschancen auf dem Arbeitsmarkt. Und was das nun wiederum heißt, liegt auf der Hand: Wissens‑, Schrägstrich Innovationsmanagement sind DIE Faktoren, von denen die Zukunftsfähigkeit des Einzelnen bis hin zu ganzen Unternehmen abhängt.
Eine zweite Untersuchung mit dem Titel „Information Technology, Workplace Organization and the Demand for Skilled Labor: Firm-Level Evidence“ beschreibt diesen Sachverhalt sehr anschaulich. Die Autoren Timothy F. Bresnahan, Erik Brynjolfsson und Lorin M. Hitt zeigen, dass die Auslagerung von Aufgaben an Algorithmen nicht zwangsläufig damit einher geht, dass der Kollege vor dem Monitor mehr Zeit zum Däumchendrehen hätte.
Zukunftsangst: Arbeit verdichtet sich
Die Wissenschaftler – unter anderem vom MIT Center for Digital Business – begründen das wie folgt: Unternehmen setzten smarte Technologien zum Beispiel dafür ein, um Entscheidungsbefugnisse, Anreizsysteme, Informationsflüsse oder Einstellungsverfahren innerhalb ihrer Organisation an den Computer auszulagern.
- Effekt eins: Eine messbare Produktivitätssteigerung.
- Effekt zwei: Der Bedarf an gut bis sehr gut qualifizierten Kräften steigt, da Routineaufgaben wegfallen.
- Schlussfolgerung: Der Arbeitnehmer der Zukunft transformiert vom Ausführer zum Gestalter, zum Mikromanager über seinen Bereich.
Dafür benötigt er aber das Handwerkszeug – auch das ein klares Ergebnis der Studie:
„Intensive use of IT, higher service levels for customers, and organizational change all go together, and together call for higher-skilled labor. These form a mutually reinforcing cluster of inventions for employers. Critically, the organizational changes associated with IT-based service improvements are skill-using. The key skill-biased technical change of the present can thus be seen to consist not only of IT, but of the complete cluster of associated complements. The „technical“ side of this cluster is the large, ongoing declines in IT prices and large, ongoing improvements in IT performance. It is tightly linked to labor demand through its organizational side. Investments in the complete cluster, including the dollars, time, and effort associated with the organizational change are likely to be substantially larger than the IT investments themselves, even if they are more difficult to quantify.“
Zukunftsangst: Wissensarbeiter sterben nie aus
Bresnahan, Brynjolfsson et al gehen über den Daumen gepeilt davon aus, dass für jeden in Computer investierten Dollar zehn weitere in das Organisationskapital – die Mitarbeiter – gesteckt werden müssen. Das schlüsselt sich auf in:
- Weiterbildungen
- Neueinstellungen
- Die Umgestaltung von Geschäftsprozessen.
Kurzum: Wer nicht am Ball bleibt, fliegt aus dem Hamsterrad der Arbeitswelt heraus. Lebenslanges Lernen wird zur Pflicht von ganz unten bis nach ganz oben. Am besten von Anfang an. Dem trägt nun der Spielzeughersteller LEGO Rechnung, der Kinder ab dem Grundschulalter zum permanenten Wissenserwerb anleiten will. Interessanterweise soll ausgerechnet der Roboter dafür sorgen, dass der Nachwuchs bereit gemacht wird für das, was später im Business auf ihn zukommt. Auch hier also von Bedrohung durch die Technik keine Spur. Im Gegenteil.
Und so hat LEGO bei der CES 2016 in Las Vegas das Baukasten-Set WeDo 2.0 vorgestellt. Es kombiniert Bausteine, Motoren, Sensoren und eine kindgerechte Programmierumgebung für Tablets oder Computer. Die Kinder können mit den Sets Projekte umsetzen:
- einen Suchroboter mit optischem Sensor bauen
- erdbebensichere Gebäude gestalten
- Transport- und Rettungsfahrzeuge entwerfen
Zukunftsangst: Es ist Zeit zu handeln
Die Arbeitnehmer von morgen werden damit zum experimentellen Lernen angeleitet: Learning by doing. Einem Lernen ohne Angst vor dem Scheitern, vor Veränderung, vor Unbekannten, geprägt von geringem Druck und spielerischer Neugierde. Das ist nachgewiesenermaßen eine der nachhaltigsten Formen des Wissenserwerbs. Gut so.
Andererseits bräuchte aber auch die Arbeitswelt längst Umgebungen, die genau das berücksichtigen. Das kann vielerorts aber nur mit einem fundamentalen Kulturwandel gelingen, der eine radikal andere Weise der Zusammenarbeit und des Lernens in Organisationen erfordert: selbstbestimmter, ganzheitlicher, sinnorientierter.
Auch der Prozess der Entscheidungsfindung muss überdacht werden, soll das Wissen des Einzelnen in Innovationen umgesetzt werden. Statt Top-down muss etwa das Prinzip Bottum-up etabliert werden. Denn in Teams kommen Wissensarbeiter zusammen, die sich in ihrem Know-how perfekt ergänzen. Und so kann der Manager nicht mehr als einzelner Entscheider agieren, sondern als Moderator, als Lenker, Anleiter und konstruktiver Kritiker.
Zu diesem Schluss kommen auch Bresnahan, Brynjolfsson et al: Nicht die Investition in die moderne Technologie entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer Organisation, sondern die Kreativität im Umgang mit dieser und der dazugehörige Kulturwandel.
Zukunftsangst: Selbst IT Branche ist ratlos
Kommen wir nun zum Realitätscheck: Die zitierte Studie hat 17 Jahre auf dem Buckel. Sie stammt aus dem Jahr 1999. Seinerzeit prognostizierten die Autoren, es bedürfe für einen nachhaltigen Wandel in Unternehmen rund sieben Jahre. Was sich seitdem getan hat, ist ernüchternd: Wenig bis nichts. Das legt jedenfalls eine aktuell laufende Befragung des Branchenverbands Bitkom mit dem Titel „Fit für den digitalen Wandel?“ nahe.
Fast schon absurd: Die Fragen richten sich an Verantwortliche in der ITK Branche, dem Sektor, in dem der digitale Wandel gründet. Offensichtlich weiß man selbst hier noch nicht, wohin die Reise geht. Jedenfalls will Bitkom ganz grundlegend wissen:
- Welche Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung erhöhen die Flexibilität der Beschäftigten?
- Welche Ansätze verfolgen erfolgreiche Unternehmen?
- Wie können individuelle Handlungsempfehlungen für mein Unternehmen aussehen?
Wir würden die Fragestellungen noch ergänzen wollen: Wann ergreifen HR Entscheider die Chance konsequent, die Digitalisierung als Durchbruch ihrer zukünftigen zentralen Verantwortung und Rolle als Kulturentwickler eines stärker integral evolutionären Führungsmodells im 21.Jahrhundert zu begreifen: selbstverantwortlicher ganzheitlicher und sinngetriebener Lern- und Arbeitswelten ( SOCIAL LEADERSHIP )?
BUCHTIPPS
The second Machine Age,
Erik Brynjolfsson Andrew Mcafee (2014)
Reinventing Organisations,
Frederric Laloux (2014)