Es ist amtlich: Die Ära Martin Winterkorn ist seit vergangenem Mittwoch Vergangenheit beim Weltkonzern VW. Infolge des Skandals um manipulierte Schadstoffmesswerte nimmt der VW-Übervater und Vorstandschef mit 68 Jahren seinen Hut und macht Platz für einen anderen, unverbrauchten Manager. Das eröffnet dem Konzern Chancen für einen Kulturwandel.
Winterkorn schafft mit seinem Rückzug von VW gleich in mehrfacher Hinsicht die Chance auf einen Neuanfang im Konzern. Barsch gesagt: Der Alte nimmt seinen Hut und damit die Verantwortung für das gescheiterte System auf und mit sich. Auf psychologischer Ebene ist Winterkorns Abschied sowohl für Kunden als auch Aktionäre ein wichtiger Schritt, unabhängig davon, wie viel der Ex-Konzernchef von den Manipulationen tatsächlich wusste.
VW: Der Weg für neue Werte ist geebnet
Zurückzuführen ist das Desaster bei VW aber auch auf eklatante Missstände in der Firmen-Kultur: Statt Offenheit im Umgang miteinander schwang das Prinzip der Angst das Zepter.
In erster Linie dürften so also auch die Mitarbeiter von VW aufatmen. Denn nun ist der Weg frei, um einen kulturellen Wandel bei VW einzuleiten – weg von der fehlerfreien Angstkultur hin zur kritischen Reflexionskultur.
Denn der 68-jährige war der Spezies der toxischen Führungskräfte zuzurechnen, die mit ihrem Kontroll-und Korrekturwahn Sand ins Getriebe eines Unternehmens streuen, bis der Motor zunächst stockt und irgendwann ganz absäuft. Winterkorn galt sogar in der Öffentlichkeit als detailversessener Perfektionist und aufbrausender Autokrat.
„Der Mann mit dem grauen Haarschopf und der randlosen Brille ist das personifizierte Qualitätsbewusstsein. Alle zwei Wochen steht er am sogenannten Schadenstisch und untersucht Fehlläufer aus der Produktion. Jedes neue Modell nimmt er persönlich ab. Und er haut auf den Tisch, wenn irgendwo in diesem riesigen Konzern etwas aus dem Ruder läuft“, schrieb etwa die FAZ erst Anfang des Jahres. „Dann ist er ungeduldig, unwirsch, polternd, cholerisch – und verbreitet Angst. Modernes Führungsverhalten sieht anders aus.“
VW: Aufklärung tut Not!
Wohl wahr! Was VW nun neben Aufklärung dringend braucht, um aus dem Loch wieder herauszukommen, ist ein radikaler Kulturwandel mit einer neuen Wertekultur, verbunden mit einem neuen Führungsverständnis. Meinung muss in dem Konzern wieder ein Gesicht bekommen und darf nicht weiter unter den Teppich gekehrt werden.
Hier stehen den Verantwortlichen Führungsinstrumente zur Verfügung, die sie hoffentlich nutzen werden. Eines davon ist, eine offene Dialogkultur am Innovationstisch zu implementieren und den Schadenstisch zu entrümpeln.
VW: Entrümpelt bitte den Schadenstisch!
Der grösste Schaden ist entstanden, weil die Tischkultur nur einem diente: dem Gastgeber selbst. Die Relevanz offener Dialoge für die Qualität unternehmerischer Entscheidungen ist unbestritten. Doch an der Umsetzung hapert es häufig. VW ist da leider kein Einzelfall.
Was macht eine offene Dialogkultur aus?
- Konflikte können bereits im Vorfeld begrenzt werden, wenn sie offen, sachlich und auf Augenhöhe angesprochen werden.
- Vorgesetzte sollten mit gutem Beispiel vorangehen und Kritik in Ich-Botschaften äußern. Niemals ausfällig oder persönlich werden! Denn so steht der persönliche Konflikt der Findung einer konstruktiven Lösung im Weg.
- Auch kleinere Konflikte sollten gleich angesprochen werden, bevor sie zu großen Problemen anwachsen.
- Fehler sind immer Abweichungen und daher oft auch Grundlagen einer Innovation und sollten insofern immer wertneutral beurteilt werden.
- Eigene Positionen sind immer das Ergebnis mentaler Modelle und sollten daher hinterfragt und gemeinsam als Verständnisgrundlage abgestimmt werden
- So leistet jeder seinen Beitrag dazu, in einem angenehmen und produktiven Betriebsklima zu arbeiten.
Alternativ bewegt sich das Betriebsklima weiter auf Tiefkühlebene. In der Folge kann es aufgrund der psychologischen Belastung der Mitarbeiter zu einem überproportionalen Krankenstand kommen. Und natürlich überträgt sich ein schlechtes Klima irgendwann auch nach außen. Denn Kunden sind sehr sensibel dafür, ob es zwischen den Mitarbeitern im normalturigen Bereich läuft oder nicht. Und so nimmt über kurz oder lang das Image der Firma Schaden. Da hilft auch kein Frostschutzmittel.