Insbesondere in der Startup-Szene kommt es vor, dass Unternehmen überproportional wachsen. Dann gerät manches aus den Fugen. Abstimmungen, die früher über den Schreibtisch hinweg möglich waren, klappen nicht mehr: Es sind zu viele dazwischen gerückt. Wer dann nicht über klare Rollenverteilungen, Ziele und Visionen verfügt, steuert aufs Chaos zu. Denn niemand weiß, woran er seine Arbeit ausrichten soll, was der nächste Big Step ist und jeder werkelt unstrukturiert vor sich hin. Möglich, dass Googles Debütanten in der Gründerzeit ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Sie wussten sich aber mit dem OKR-Konzept zu helfen.
Ziele vereinbaren: OKR – eine Definition
OKR noch nie gehört? OKR ist das Kürzel für die Management-Methode „Objectives and Key Results“. Ein paar Worte zur „Vita“ des Leadership-Tools:
- Erfunden von Intel-Mitgründer Andy Grove und Investor John Doerr von Kleiner Perkins Caufiled & Byers
- 1999 bei Google eingeführt
- Heute gängig bei Playern wie Oracle, Facebook, Twitter, Zynga, LinkedIn, Zalando
Besondere „Fähigkeiten“:
- Strategisches Management Tool, um unternehmensweit Ziele zu definieren
- Diese lassen sich auf Unternehmens‑, Team- oder Mitarbeiterebene herunterbrechen
- Fortschritte bei der Zielerreichung lassen sich kontinuierlich überprüfen
- Ziele werden messbar gemacht
- Ziele sind für alle transparent
- Bei Nichterreichung droht keine Sanktion. Richtig gelesen: Keine.
- Und: Ziele, die bis zu 60 Prozent erfüllt werden, gelten als überdurchschnittlich gut erfüllt.
Die Bedeutung der Zielvereinbarung mit OKR
Wer bei den ersten Punkten noch dachte: „Alles klar. Kein Unterschied zum klassischen und hierzulande sehr gängigen Management by Objektives!“ Der dürfte spätestens bei den letzten Aufzählungszeichen erstaunt die Augenbrauen nach oben gezogen haben.
Denn tatsächlich sind OKR, Objectives and Key Results, nur marginal mit MBO, Management by Objectives, vergleichbar. Der wesentliche Unterschied: Das Tool OKR ist kein Instrument, das Mitarbeiter unter Druck setzen soll, Leistungen in vorgegebener Zeit zu 100 Prozent zu erfüllen, sondern dass die Ambitionen und Kreativität der Arbeitnehmer fördern soll zur Verwirklichung einer Vision.
Arbeitnehmer sollen dazu animiert werden, das Unmögliche zu denken. Und tun sie es nicht: Keine Sanktion. Kein böser Blick. Keine Streichung der Boni. Es geht um etwas anderes: Freies Denken. Die Ergebnisse dienen einfach als Datenbasis für die Festlegung der nächsten OKR. Aber der Reihe nach.
Wie funktioniert OKR?
Ausgangspunkt sind die Unternehmensziele (Objektives) der höchsten Ebene, die an den erzielten Schlüssel-Ergebnisse (Key Results) gemessen werden. An diesen orientieren sich die anderen Abteilungen oder Ebenen bei der Formulierung ihrer OKRs. Diese werden von oben nach unten kaskadiert. So weiß jedes Teammitglied, was es machen muss, um zu den „großen“ Unternehmenszielen beizutragen. Denn jeder hat seine ganz eigenen OKRs, die er im Idealfall immer vor Augen hat.
Das Besondere: Im Gegensatz zu MBO werden bei OKR die Ziele nicht oktroyiert, sondern mit jedem einzelnen Mitarbeiter verhandelt. Dazu hinterfragt sich jeder Angestellte, wie er mit seiner Arbeit am besten zur Unternehmensvision und den Zielen seines Arbeitgebers beitragen kann. Diese Ideen stimmt er mit seinem Vorgesetzen ab.
In OKR treffen Top-Down und Bottom-Up aufeinander
OKR ist also eine Mischung aus Top-Down und Bottom-Up. Die Geschäftsführung, die den Überblick hat, was in den kommenden Monaten relevant sein wird, gibt erst einmal vor, danach sind die Mitarbeiter an der Reihe und spielen ihren Input dazu von unten nach oben.
Dies kann wiederum zu einer Anpassung der Management-Ziele führen: Etwa, wenn die Ideen der Mitarbeiter über das eigentlich Angedachte hinaus gehen oder in eine andere, erfolgversprechendere Richtung weisen. Spätestens hier dürfte der Unterschied zum MBO-Paralleluniversium klar geworden sein, wo sich solche Wechselwirkungen von vornherein ausschließen. Hier ist im Gegensatz zu OKR alles in Stein gemeißelt und somit furchtbar unflexibel.
Und eben das ist der Punkt, den OKR erfolgreich macht: Flexibilität und Agilität. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist das für Unternehmen geradezu überlebenswichtig. Märkte verändern sich über Nacht. Da bedarf es einer agilen Zielvereinbarungsstruktur, mit der man schnell und wendig auf unvorhergesehene Veränderungen reagieren kann.
OKR: Nichts ist in Stein gemeißelt
Daher werden OKR’s auch nicht wie in der MBO-Praxis nur einmal jährlich vereinbart, sondern einmal im Quartal, so dass Firmen relativ zeitnah auf Ereignisse im Markt reagieren können. Aber auch innerhalb des Quartals besteht die Möglichkeit, Ideen, Erfahrungen oder Ergebnisse immer wieder von unten nach oben neu auszurichten.
Zum Beispiel, wenn die Basis des Unternehmens im direkten Kundenkontakt feststellt, dass hier und da Anpassungsbedarf besteht. MBO sieht das nicht vor. Mit OKR lässt sich dagegen ad hoc auf Veränderungen reagieren und Kunden somit schneller zufrieden stellen.
Das ist wichtig: Der Kunde hat in Zeiten von Social Media einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens: Einträge in Kundencommunities machen rasend schnell die Runde und ganzen Marketingkampagnen den Gar aus, indem sie sie als Scheinwahrheit enttarnen.
OKR: Die Umsetzung und Implementierung
Aber zurück zu OKR. Worauf kommt es noch an?
- Jeder Mitarbeiter sollte maximal an fünf Zielen mit jeweils nicht mehr als vier Schlüsselergebnissen arbeiten. Ansonsten droht Überforderung und einzelne Ziele geraten aus dem Fokus.
- Ziele und Schlüsselergebnisse sollten ambitioniert gewählt werden: Die Komfortzone soll bewusst verlassen und Sicherheitsdenken vermieden werden.
- Bei Google gilt eine Quote von 60 bis 70 Prozent bei der Zielerreichung als optimal. Schafft man mehr, hat man vermutlich nicht ambitioniert genug geplant. Schafft man weniger, wurden die Ziele vielleicht falsch gesetzt nicht richtig priorisiert.
- Jeden Morgen schaut der Arbeitnehmer auf seine OKRs und hinterfragt, was er heute zu deren Erreichung beitragen kann.
- Wie gut oder schlecht es pro Key Result abgeschnitten hat, beurteilt jedes Teammitglied für sich. Das heißt, man benotet sich am Ende des Quartals selbst.
- Dinge, die man nicht geschafft hat, werden nicht automatisch ins nächste Quartal übernommen. Die Überlegung: Wenn man ein Vierteljahr lang jeden Tag dafür Zeit hatte und es nicht erledigt hat: Lohnt es sich dann, an diesem Objective festzuhalten? Oder sollte man anders fokussieren?
- Die OKR sind im Gegensatz zum MBO-Modell für alle Mitarbeiter einsehbar. Das fördert empathisches Handeln. Wer zum Beispiel OKRs erfüllen will, die einander ergänzen, arbeitet zusammen: Statt Einzelkämpfertum wird Teamarbeit gefördert.
- Die MeetingKultur wird neu erfunden, weil jeder weiss, was der andere im Raum für Ziele hat und sich selbst daran einordnen und orientieren kann.
Fazit: Schafft man es, alle Mitarbeiter vom Nutzen des OKR-Konzepts zu überzeugen und OKR langfristig in der Unternehmenskultur zu verwurzeln, so scheint das Konzept eine sehr effektive Methode zu sein, mit der man Ziele setzen und synchronisieren, fokussiert arbeiten und Erfolge messen kann. Alles also, was es braucht, um sich im Digitalzeitalter vom Wettbewerb abzuheben.