Was ist der Motor für Innovation? Denkt man an Errungenschaften wie Penicillin, Teflon Tesa oder Post it’s, liegt die Antwort auf der Hand: Häufig das, was man früher als„Fehler“ oder „menschliches Versagen“ bezeichnete. Längst sind diese vermeintlichen Fehlentwicklungen nicht mehr aus dem täglichen Leben wegzudenken. Ergo: Wer immer alles richtig macht, schlittert möglicherweise an der Innovation seines Lebens vorbei. Ein Dilemma, an dem ganze Unternehmen scheitern können: Einmal mit einer Vorgehensweise erfolgreich, bleiben sie dieser treu, um irgendwann mit Glanz und Gloria unterzugehen. Denn zum Repertoire eines guten und richtigen Managements und langfristiger Unternehmensführung gehört, zum richtigen Zeitpunkt mutig mit etablierten Erfolgsfaktoren zu brechen. Doch häufig tun sich Entscheider damit schwer. In der Innovationsforschung wird dieses Phänomen als Innovators‘ Dilemma bezeichnet. Suchmaschinengigant Google wähnt sich hier aberauf einer ganz heißen Spur, das Problem zu lösen…
Es gibt Zeiten, in denen es besser ist, nicht auf Kunden zu hören, in denen es besser ist, auf Produkte von niedrigerer Qualität mit niedrigeren Margen zu setzen und Zeiten, in denen es besser ist, aggressiv in kleine, anstatt in große Märkte zu vorzustoßen. Diese Entscheidung fällt schwer. Denn nie ist sicher, ob sie die erhoffte Wende einleitet oder alles nur noch schlimmer macht. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? Eine Frage, die sich auch die Köpfe des Tech-Giganten Google immer wieder gestellt haben.
Innovation bei Google: Auf der Suche nach dem Geheimrezept
Und wenn Google etwas wissen will, dann mit aller Ernsthaftigkeit. Suchmaschine eben! Und so fahndet der Konzern nach DEM Geheimrezept für Innovationen. Logisch: Wer auf einem Innovationsmarkt nicht nur unterwegs ist, sondern diesen sogar anführt, für den ist der Druck, seine Position zu behaupten, besonders groß.
Das Thema Innovationsdilemma also solches ist aber alles andere als neu. Bereits 1997 erschien das in zahlreiche Sprachen übersetzte Wirtschaftswerk „The Innovator´s Dilemma“ von Professor Christensen. Der Professor für Business Administration an der Harvard Business School beleuchtet darin die Frage, warum Unternehmen trotz erfolgreichen Wirtschaftens scheitern.
Innovation bei Google: Undogmatisches Arbeiten
Seine Schlussfolgerung: Es gibt zu wenig undogmatisch arbeitende Abteilungen, die den bisherigen Erfolg kritisch hinterfragen dürfen, inwieweit nicht bereits Anzeichen erkennbar sind, die das Geschäftsmodell in ihrer Existenz gefährden! Die Arroganz-Kultur des Erfolgs verklärt den Blick etablierter Unternehmen auf das Marktumfeld. Vermeintlich, weil alle Abweichungen vom bisherigen Kurs, alle Gedankenexperimente nur Zeit und Geld kosten. Das mag in manchen Fällen stimmen, in anderen legen sie den Grundstein für Innovationen.
Letztes haben viele Entscheider inzwischen begriffen und ermutigen ihre Teams dazu, gedankliche Barrieren zu überwinden und möglichst hoch hinaus ins Reich der Visionen abzuheben. Hierzu werden nicht selten externe Einheiten gegründet. Ist eine Idee erst einmal geboren, kann man diese dann immer noch den Bedingungen der Realität näher bringen. Ein systematisches Vorgehen, das sich unter dem Label Design Thinking immer mehr etabliert und den methodischen Einstieg in eine nachhaltige Innovationskultur bedeuten kann.
Innovation bei Google: Denk nicht klein, sondern groß!
Google will all das auch, aber – wie immer – noch viel mehr. Und so verwundert es nicht, dass eines Tages Googles Konzerngründer Page mit der Meinung um die Ecke kam: „Die Sache ist noch nicht rund.“ Denn Page ist keiner, der in kleinen Innovationseinheiten denkt, sondern globalgalaktisch oder, wie er es nennt, ganzheitlich. Zwar mag es in der Tat zunächst wie ein Griff nach den Sternen aussehen, dass es Google im übertragenen Sinne wieder einmal nicht ausreicht, gedanklich einfach nur vom Boden abzuheben, sondern dass schon ein bisschen mehr „Mondflug“-Kultur dahinter sein muss. Schließlich leben wir ja im Raketenzeitalter!
Und so geht es nicht nur um die Umstrukturierung einzelner Abteilungen, nein, es geht gleich um eine völlig neue Firmenkultur, sagt Page. Aber ganz von der Hand zu weisen, ist dieser Ansatz auch wieder nicht. Im Gegenteil. Denn immer nur in Abteilungen und Clustern zu denken, dürfte dem Ziel, eine nachhaltige Innovationskultur zu schaffen, nur in Maßen näher kommen. Soll das Konzept funktionieren, muss die ganze Firma mitgenommen werden.
Und so hat Google ein Programm gegründet, das ALLEN 55.000 Mitarbeitern dabei helfen soll, gedanklich abzuheben. Oder wie Google es ausdrückt:
- Innovativ und kreativ zu denken.
- Stets risikobereit zu sein.
Innovation bei Google: Das Paralleluniversum des Suchmaschinengiganten
Aber: Kreativität auf Knopfdruck – geht das? Googles „Head of Innovation“ ist sogar fest davon überzeugt, dass das geht. „Wenn ein Unternehmen seinen Angestellten größtmöglichen Freiraum verschafft, werden sie (…) Erstaunliches leisten“, wird Frederik G. Pferdt zitiert.
Pferdt spielt damit auf folgende Merkmale der Unternehmenskultur an:
- Selbstständigkeit
- Flache Hierarchien
- Experimentierfreudigkeit
In vielen Bereichen der Wirtschaft ist die Realität dem jedoch diametral entgegengesetzt:
- Zu viele Hierarchien
- Zu lange Entscheidungszyklen
- Intransparenz
Nicht zuletzt sind Arbeitnehmer darüber hinaus in der Regel dermaßen ausgelastet, dass sie nicht die Zeit für gedankliche Experimente hätten. Selbst wenn sie es wollten. Wie soll in einem solchen Umfeld Innovation entstehen?
In Googles Paralleluniversum läuft daher alles anders. Teams werden schnell und projektbezogen zusammengestellt:
- Abteilungsübergreifend
- Interessengetrieben
- Ohne bürokratischen Aufwand
Denn: Wer sagt, dass immer nur die Leute aus der Produkt-Abteilung die besten Produkte kreieren. Warum sollte der interessierte HR’ler aus Anwendersicht nicht auch dazu breitragen können? Gemischte Teams von Experts und Nonexperts, jung und erfahren.
Innovation bei Google: Kein Raum für Kleinkriege
Und all das läuft bei Google auch noch ohne interne Kleinkriege und Grabenkämpfe ab, die hierzulande noch viel zu viele Abteilungen lahm legen: Aus der Angst, die Idee eines anderen könnte besser ankommen als die eigene, wird diese – um des eigenen Vorankommens Willen – niedergeredet. Sicher ist sicher, aber auch der Tod einer jeden Neuerung.
Google hat damit gebrochen. Hier wird der kollaborative Ansatz als Ausdruck der Vernetzung im Gegensatz zur Hierarchie befürwortet. Dazu können die Mitarbeiter jederzeit auf die Dokumente, den Kalender und Planungen aller anderen zugreifen. Und sie werden in Entscheidungsprozesse eingebunden, denen in anderen Unternehmen unter Garantie das Label „top secret“ aufgepappt würde. Transparenz ersetzt Konkurrenz. Ein Prinzip, das aber selbst die Google Mitarbeiter erstmal lernen müssen, denn ein ganz klein wenig läuft die totale Offenlegung der menschlichen Natur ja doch zuwider.
Innovation bei Google: Ein Brainwashing?
Kritiker sagen, alle Google Mitarbeiter haben ein Brainwashing hinter sich. Pferdt sieht das anders. Er helfe den Teilnehmern, „in ihre Kindheit zurückzufinden“. Sprich: Er leitet sie zum kindlichen Trial and Error an. Denn die Eigenschaften von Kindern sind mit denen von Innovatoren fast identisch: Da ist dieser unnachahmliche Drang, alles auszuprobieren, sich ohne Hintergedanken mitzuteilen, sich nicht von gedanklichen Grenzen abschrecken zu lassen. Und genau das will Google von seinen Mitarbeitern.
Und – kein Scherz – so gibt es auf dem Campus einen Erwachsenenspielplatz, den Mitarbeitern stehen Versuchslabore zur Verfügung, wo sie mit Knete, Lego oder anderen Materialien Prototypen bauen können. Es gibt Laserprinter, Oszillatoren, Laserschneider.
All das dient dem einen Prinzip: Ausprobieren, testen, verbessern, neu bauen. Und letztlich alles so schnell wie nur irgend möglich aus der radikalen Anwenderperspektive gedacht auf den Markt bringen als Version 1.0. Dazu gehört von Managementseite, den Mitarbeitern, die Freiheit einzuräumen, neue Wege zu gehen und ihnen zu vertrauen, dass das Ziel, das sie verfolgen, in einem Erfolg münden kann.
Und dazu gehört auch, dass man ihnen Rückschläge verzeiht und sie ermutigt, an einem anderen Punkt weiterzumachen. Die Fehlerkultur wird zur Versions- und Abenteuerkultur, den Zufall entdecken zu dürfen – wie eingangs beschrieben ! Oder mit Pferdts Worten: Ziel ist es, eine „Umgebung zu schaffen, die nicht ein ‚Ja, aber’, sondern ein ‚Ja, und’ in den Vordergrund stellt.“