Unternehmenskultur
Auf die Stimme kommt es an – werden Vorstellungsgespräche künftig revolutioniert?
Emotional aufgeladene und persönliche Angelegenheiten, wie beispielsweise Vorstellungsgespräche, waren bisher uns Menschen vorbehalten. Kein geeignetes Thema für Maschinen und Roboter – dachten wir zumindest. Künstliche Intelligenz soll dies allerdings künftig ändern. Intelligente und lernende Spracherkennungssysteme machen es möglich und eröffnen neue Horizonte in der Welt der Emotionen. Ausgereifte Softwareprogramme und Trainer-Avatare können bereits jetzt, ganz ohne die Hilfe einer Führungskraft und meist mit deutlich höherer Trefferquote, die Persönlichkeit eines Bewerbers und dessen Gemütslage erkennen, einordnen und diesem im Anschluss auf ein Bewerbungsgespräch ein aussagekräftiges Feedback geben. Müssen Recruiter jetzt Angst um Ihre Zukunft haben und die Personaldiagnostik in Rente gehen?
KI macht auch vor Emotionen nicht halt!
Vorstellungsgespräche laufen seit jeher in ähnlicher Form ab. Ein Interessent bewirbt sich, dessen Unterlagen werden bei größeren Firmen von der Personalabteilung und bei kleineren Unternehmen von den Geschäftsführern selbst eingesehen und eingestuft. Gefällt der Bewerber, so wird er zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch eingeladen und dabei auf Herz und Nieren überprüft und in verschiedenen Prozessen auf seine Tauglichkeit hin getestet. Dabei gibt es zwar unterschiedliche Verfahren und immer wieder neue Vorgehensweisen wie Tests, Bewerbertage, individuelle Aufgaben im Team oder Assessment Center, eines blieb bisher aber immer gleich: der Personaler oder der Geschäftsführer bewertet den Kandidaten und entscheidet über dessen Einstellung.
Künstliche Intelligenz scheint auch vor persönlichen, emotionalen und von uns als nicht rationalisierbar eingestuften Angelegenheiten nicht halt zu machen.
Dieser Prozess könnte künftig revolutioniert werden. Wie jeder weiß ist Künstliche Intelligenz längst auf dem Vormarsch und hält Einzug in immer mehr Bereiche, Geschäftsfelder und Branchen. Dabei scheint sie auch vor solchen Aufgaben nicht Halt zu machen, die wir bisher als persönliche, emotionale und nicht rationalisierbare Tätigkeiten gehalten haben. Wie etwa einem Vorstellungsgespräch.
Seit 18 Jahren beschäftigt sich Björn Schuller bereits mit dem Thema Sprache innerhalb der Künstlichen Intelligenz. Er erforscht wie Computer menschliche Emotionen mittels Stimme entschlüsseln können. Laut Schuller lassen sich diese nämlich mit Hilfe bestimmter Merkmale der Stimme ablesen. Dabei geht es aber nicht, wie viele zunächst vermuten mögen, um den Inhalt des Gesagten oder die gewählten Worte, sondern alleine um den Klang der Stimme und die Art und Weise wie wir sprechen. Der Psychologe Klaus Scherer des Neuroscience Center der Universität Genf erklärt, dass Menschen kaum in der Lage seien ihre Emotionen in der Stimme zu verbergen. So gelingt es ihnen nicht, ihren Gefühlszustand durch verstellen der eigenen Stimme zu verbergen.
T I P P T O G O
für schlechte Redner:
Versuchen Sie den Klang und die Emotionen in Ihrer Stimme bei Vorträge und Reden immer so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Platzieren Sie nach einem gesprochenen Highlight eine nachdenkliche und melancholisch klingende Passage. Verändern Sie auch die Signale in Ihrer Stimme und wechseln von positiven Emotionen zu negativen Emotionen. Das erzeugt Spannung in Ihren Vorträgen. Ihre Mitarbeiter werden es Ihnen danken und zukünftig voller Neugier Ihren Reden folgen.
Lernenden Algorithmen machen uns durchschaubar
Der Algorithmus hinter der Künstlichen Intelligenz achtet dabei in erster Linie auf ein ganz bestimmtes Muster in der menschlichen Stimme: die Abwechslung zwischen Signale für positive und negative Emotionen. Die Systeme zur Spracherkennung werden dabei mit echten Gefühlen trainiert und lassen sich daher nur schwer von uns Menschen täuschen, wenn wir beispielsweise versuchen „glücklich zu klingen“, obwohl unsere echte Gemütslage etwas anderes verheißt. Sowohl flüchtige Emotionen und Sinnesempfindung, aber auch dauerhafte Persönlichkeitsmerkmale hinterlassen eindeutige Spuren in unseren Stimmen. Das macht sie für die lernenden Algorithmen und damit für Maschinen erlernbar und letztendlich so durchschaubar. Mit Hilfe des maschinellen Lernens gelingt es den Wissenschaftlern also, verborgene Muster zu erkennen.
Es geht nicht um den Inhalt des Gesagten oder die gewählten Worte, sondern alleine um den Klang der Stimme und die Art und Weise wie wir sprechen.
Die Computer berücksichtigen in diesen Prozessen etliche Faktoren und können dabei aus der Stimme mehrere tausend Einflüsse entnehmen und bewerten. Diese entnommenen und eingeordneten Einflüsse helfen den Maschinen schließlich, bestimmte Muster für Gefühle, Krankheiten, Persönlichkeiten und Gemütslagen zu suchen und letztlich zu erkennen. Emotionen zu erkennen und auch darauf zu reagieren bzw. diese einzuordnen ist in der Welt der Roboter und Computerprogramme schon länger ein präsentes Thema. Nicht nur für Künstliche Intelligenz die mit Sprache arbeitet, sondern auch Systeme, die beispielsweise wie ein Trainer-Avatar agieren und die Gesichtszüge von Probanden erkennen und analysieren. Für uns Menschen sind Gefühle enorm wichtig und so müssen Emotionen auch zwangsläufig für Maschinen essentiell werden. Anderenfalls wird Künstliche Intelligenz im digitalen Zeitalter nicht überleben können. Besonders Deutschland und auch die USA sind auf diesem Gebiet Vorreiter, Visionäre treibende Kraft.
Ein Beispiel – so funktioniert KI und unsere Ehe
Um dieses maschinelle Lernen und die Ausmaße künstlicher Intelligenz besser zu verstehen, soll das nachfolgende Anschauungsbeispiel dienen:
Es wurden verschiedene emotionale Gespräche von Ehestreiten aufgezeichnet und von einem Computer analysiert. Dieser wertete dabei nicht das Gesagte bzw. den Inhalt der Worte, sondern lediglich den Klang der Stimme aus. Die Maschine wurde anschließend mit den Informationen gefüttert, welche der Ehen dieser Streitgespräche am Ende gehalten hatte und welche scheiterten. Der lernende Algorithmus konnte anschließend in vier von fünf Fällen korrekt vorhersagen, wenn er den Klang der Stimmen eines Ehestreites analysiert, ob diese Ehe nach Ende der Therapie noch halten wird. Diese Trefferquote ist um einiges höher als die der behandelten Therapeuten.
Was bedeutet das für Personaler?
Die Frage, die uns beim Lesen dieser Neuigkeiten unter den Nägeln brennt, ist doch, was dies nun für Unternehmen, Führungskräfte, Personaler und die HR Abteilung bedeutet beziehungsweise bedeuten kann.
Ein Unternehmen aus Achen bietet bereits eine entsprechende Software an, die wiederum von einigen Konzernen wie RWE für deren Bewerberverfahren oder zur Personalentwicklung eingesetzt wird. Diese Software wertet mit Hilfe eines 15-minütigen Telefoninterviews, die Persönlichkeit von Bewerber aus und entschlüsselt dabei deren Qualifikationen.
Kann ein Algorithmus unsere Gefühle und unsere Persönlichkeit wirklich berechnen?
Der Einsatz solcher Software in Bewerbungsgesprächen oder allgemein, wenn es um die Bewertung und Einschätzung von Menschen und derer Persönlichkeit geht, wird jedoch vielerseits kritisiert. Auch wenn diese Software nicht alleine den optimalen Bewerber ermittelt und letztlich die Entscheidung im Bewerbungsgespräch fällt, kann der Test dazu beitragen, dass man mehr über den Menschen hinter dem Kandidaten erfährt. Der Personaler, als Entscheidungsträger, kann so zusätzliche Informationen als Input für seine Bewertung des Cultural Fit erhalten. Kleine Notlügen, Ausreden, vorgetäuschte Eigenschaften oder das bloße Sicherstellen können mittels dieser Technik aufgedeckt werden.
Die Maschine erkennt kleine Notlügen, Ausreden und vorgetäuschte Eigenschaften des Bewerbers.
Im 15-minütigen Testinterview des oben erwähnten Systemanbieters werden Fragen wie beispielsweise „Wie ist ein typischer Sonntag“ gestellt. Das System vergleicht anschließend die Sprechmuster der Befragten mit sog. Trainingsdaten. Diese stammen aus Sprachproben von 5000 Probanden, welche einem ausführlichen psychologischen Gutachten unterzogen wurden und schließlich verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften zugeordnet wurden. Wie dann im Einzelnen der Algorithmus mittels dieser Trainingsdaten die Auswertung vornimmt, können auch die Entwickler nicht vorhersagen. Sie vergleichen die Ergebnisse der Maschine lediglich mit Statistiken und können so deren Korrektheit ablesen.
Ein paar Tage nach einem Interview erhalten die Befragten, dann eine Auswertung. Ergebnisse können beispielsweise lauten, dass es sich bei dem interviewten Jobanwärter um eine sehr offene, durchschnittlich neugierige, wenig organisierte und hoch kontakt- sowie risikofreudige Person handelt, die die Neigung besitzt, berufliche Belange vor persönliche Anliegen zu stellen.
KI unser neuer Kollege
Auch Patrick Gebhard vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken hat mit seinen Forschungskollegen und Psychologen an einem System getüftelt, das dabei hilft zu erkennen, welche Gefühle ein Proband im Vorstellungsgespräch besitzt. Dieses Programm arbeitet jedoch nicht mit der Stimme, sondern mit Mimik und Gestik. Dazu wurden verschiedene Regulationsmechanismen von Menschen untersucht. Eine solche Maschine soll den Personaler aufzeigen, ob der Bewerber beispielsweise beschämt oder freudig lächelt, wenn diese versucht seine Scham zu verstecken. Das lernende System passt durch etliche Analysen von Testgesprächen seine Reaktion immer wieder neu und dem Gelernten entsprechend an. So kann es schließlich aus allen entnommenen Informationen in einem Vorstellungsgespräch ein Feedback berechnen. Es ist dann in der Lage, dem Bewerber am Ende des Vorstellungsgespräches zum Beispiel folgende Rückmeldung zu geben: „An dieser Stelle hast du gelächelt, aber wir hatten keinen Blickkontakt – das wirkt unsicher.“
Viele empfinden diese Entwicklung als fragwürdig und kritisieren Systeme, Maschinen und Programme wie sie oben beschrieben wurden. Damit sich Trends und neue Techniken ausbreiten, benötigt es Akzeptanz seitens der Gesellschaft. Zumindest ein Teil der Gesellschaft, sollte hinter einem solchen Trend stehen.Wir fragen uns, ob diese Akzeptanz bereits vorhanden ist, was es noch benötigt um sie herzustellen, was die Menschen vom Einsatz solcher Systeme abhält, was sie an dieser Art der Künstlichen Intelligenz abschreckt und was ihnen daran gefällt.
Die Maschinen speichern unsere emotionalen Reaktionen und Gefühle als Daten. Steht uns somit eine neue Form der Überwachung bevor?
Neben der Tatsache, dass Gefühle und Emotionen für viele Menschen keine Angelegenheit von Maschinen sein sollte, gibt es noch weitere kritische Punkte, die beim Einsatz solcher Technologien nicht vernachlässigt werden dürfen. Auch wenn es künftig technisch möglich sein wird, dass Künstliche Intelligenz mittels Stimme Emotionen erkennen kann, bleiben problematische Sicherheitslücken zurück. So besteht durch solche Trainings-Avatare oder Stimmenauswertungs-Maschinen die Gefahr, dass die emotionalen Reaktionen von Probanden unwissentlich als Informationen über unsere Gefühle gespeichert werden. Eine solche Form der Überwachung erscheint besonders im Hinblick auf vergangene Datenmissbrauchs-Skandale als sehr fragwürdig. Auch die Tatsache, dass bereits jetzt Sprachsysteme wie das von Alexa, all unsere Daten und alles Gesagte auf amerikanischen Servern speichert, trägt nicht unbedingt zur Schaffung einer Vertrauensbasis bei. Der Stimmerkennungspionier Klaus Scherer aus Genf hat derzeit noch große Bedenken, an der Umsetzung dieser Technologie. Er stuft den Nutzen dieser Technologie geringer ein, als die möglichen Gefahren, die uns dadurch drohen. Wie sich diese neue Form der Künstlichen Intelligenz künftig weiterentwickelt und ob sie sich am Arbeitsmarkt etabliert und auch für Bewerbungsverfahren durchsetzt bleibt abzuwarten. Die Umsetzung hängt entscheidend von Ihrer grundsätzlichen unternehmenskulturellen Ausrichtung (Datenethik als werteorientierung) und der Bereitschaft als Führungskraft eine solche Technik in Ihrem Unternehmen einzusetzen ab. Das macht uns besonders neugierig wie Sie einer solchen Veränderung gegenüber stehen.
P A R T I Z I P A T I O N
Nun sind Sie gefragt:
Was halten sie von einer solchen Software? Würde eine solche auch für Ihr Unternehmen in Frage kommen oder stehen Sie dieser Entwicklung kritisch gegenüber?
Berichten Sie uns gerne und senden Sie uns eine Mail an kontakt@contas-kg.de mit Ihrer Meinung zu dieser aktuellen Thematik. Die interessantesten und spannendsten Meinungen werden wir in einem weiteren Blogbeitrag zu diesem Thema in Ihrem Namen veröffentlichen.